Wieso ist das, was die Veranstalter zum Cybathlon 2016 schreiben dummblöd? (Technologieerklärung)

Auf einer Webseite des Cybathlon 2016 (ausführlicher Kommentar hier) schreiben die Veranstalter (Impressum: Prof. Dr. Robert Riener; Redaktion: Robinson Kundert) folgenden Textabschnitt:

  • “Von Captain Hook zu Iron Man? Begeben Sie sich in unserem Museum auf eine Reise von den Anfängen der Unterstützungstechnik bis hin zur Gegenwart. Erfahren Sie, wie sich Prothesen und Rollstühle in all den Jahren entwickelt und verbessert haben. PluSport zeigt Ihnen anhand einer einzigartigen Sammlung verschiedenster Exponate die enormen Veränderungen in diesem Bereich und begleitet Sie auf Ihrem Weg zur Zukunft, dem Cybathlon. Ihre Vielfalt widerspiegelt die historische und technologische Entwicklung diverser Hilfsmittel und Sportgeräte im Bereich Behinderung. Lassen Sie sich mit einer einmaligen Betreuung von paralympischen Athletinnen und Athleten durch das spannende Museum führen. Nutzen Sie die Gelegenheit Unbekanntes zu entdecken und lassen Sie sich begeistern.”

Da der Cybathlon nun nicht etwa dummblöd den üblichen Medienhypes hinterher rennen will, sondern den Anspruch einer technischen Hochschule gerecht werden will – oder lassen Sie uns wenigstens für einen Moment so tun, als ob die ETH eine technische Hochschule sei, was man angesichts des Cybathlonschlamassels schnell vergisst -, ist es umso adäquater, dieser Art Text eine angemessene Kritik angedeihen zu lassen.

“Von Captain Hook zu Iron Man?”

Captain Hook ist üblicherweise das Sinnbild, das von akademischen Forschern und Entwicklern in der Prothetik nutzloser Robotikhände dazu verwendet wird, um den Stellenwert von Hooks in der Prothetik schlechtzumachen. Dazu bedienen sie sich althergebrachter Angstsymbolik. Das Ergebnis der Weiterausbreitung derartiger Angstsymbolik ist, dass Hunderte von Armamputierten, die das nicht wissen, fälschlicherweise zur irrigen Ansicht gelangen, dass sie unmöglich eine funktionelle Prothese mit leichtem Gewicht, gut eingerichteter Kabelsteuerung und leichtem aber sehr funktionellem Hook tragen können – denn moderne Hooks sind den schweren und untauglichen “bionischen” Prothesen gerade im Alltag und bei der sehr wichtigen Haltungskorrektur besonders bei schwereren Arbeiten ohne jeden Vergleich mehr als massiv überlegen – was dann aber für sie üblicherweise ungünstige orthopädische und finanzielle Auswirkungen hat. Uns die Suppe einbrocken tun also Leute, die es besser wissen sollten – sofern sie, was leider gelegentlich bezweifelt werden darf, lesen können.

Iron Man ist dagegen eine positiv besetzte Science Fiction Figur, nach der derzeit auch mittels 3D-Druck Plastikprothesen hergestellt werden; diese sind bezüglich Gebrauchswert allerdings derart nahe bei Legospielzeug, dass sogar die amerikanischen Prothesenbauer sowie auch die Enabler-Community davon sehr klar und dezidiert von diesen ganzen Zukunftsmärchen neuerdings Abstand nehmen. Auf gut Deutsch: sie taugen als ernsthaft einsetzbare Armprothese nicht auch nur ansatzweise. Zwar rennt die Schweiz medial und auch akademisch dieser Art Technologiewahrnehmungsverdrehung munter weiter hinterher, wie immer ist sie da etwas verschlafen, wie auch der aktuell kritisierte Text hier zeigt – aber es ist zu hoffen, dass auch in der medialen Wahrnehmung der Armprothetik gelegentlich eine Art Aufklärung und Rationalismus stattfinden darf.

Mit dem nachfolgenden Satz “erfahren Sie, wie sich Prothesen und Rollstühle in all den Jahren entwickelt und verbessert haben” wird in Aussicht gestellt, dass insbesondere in Hinsicht auf aktuelle Geräte “Verbesserungen” stattfanden, und zwar “von Captain Hook” (bei dem man schlimmes vermutet) bis “Iron Man” (bei dem man gutes vermutet); dies ist aus Anwendersicht so nicht richtig: wohl stehen heute eine Reihe attraktiver Prototypen von Handprothesen zur Verfügung, die von einer echten Alltagstauglichkeit aber noch weit weg sind.

Der Abschluss in diesem Textabschnitt “lassen Sie sich begeistern” ist insofern äusserst fragwürdig, als es jedenfalls an Armprothesen wenig Komponentenauswahl gibt, für die man sich wirklich begeistern könnte.

Es ist auch 2016 noch so, dass aufgrund der Kosten- und Preisverhältnisse jeder Leistungsanbieter – von den grossen Herstellern bis zum Prothesentechniker – jeder zunächst sein eigenes Ding drehen will, stets leicht am effektiven Bedarf vorbei, so dass am Ende der Behinderte selbst die massgeblichen Prothesenverbesserungen und Komponententests machen muss, da es weder Forschung noch Prothesentechnik fertigbringen, dies umfassend so zu lösen dass man sich darauf verlassen kann.

Der Text ist somit schlicht dummblöd. Es ist dann sicher ein Erfolgserlebnis, wenn nach jahrelanger sehr harter Arbeit dann ein brauchbarer Arm gebaut werden kann – aber “begeistern”? Das könnte ich mich für etwas, das so wie es dasteht für den realen Einsatz auch funktioniert. Und dazu leistet der Cybathlon genauso wenig wie dieser Text.

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Wolf Schweitzer: swisswuff.ch - Wieso ist das, was die Veranstalter zum Cybathlon 2016 schreiben dummblöd? (Technologieerklärung); published 30/05/2016, 18:18; URL: https://www.swisswuff.ch/tech/?p=5521.

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