Prothesen mit “Gefühl” sind eine sehr fragwürdige Sache, je nach dem wie sie gebaut werden. In der Zwischenzeit wurden dazu sogar Seminare abgehalten, etwa zur Frage, inwiefern sich der Amputierte in die Halluzination, die Prothese sei ein eigener Körperteil, hineintricksen liesse.
In der NZZ steht am 14. 10. 2014 (link):
Lena Stallmach, 14.10.2014, 10:00 Uhr
Künstliche Hände, die nicht nur zupacken, sondern auch eine Art Tastsinn ermöglichen, sind das Ziel einiger Forscher. Sie gehen dabei unterschiedliche Wege.
Handprothesen haben sich in den letzten Jahren immer weiter entwickelt. So können moderne Exemplare bis zu 24 verschiedene Griffmuster ausführen – angesteuert durch die Muskeln im Armstumpf. Doch eine fundamentale Funktion der Hände fehlt ihnen: der Tastsinn. Ein Prothesenträger muss daher immer mit den Augen überprüfen, ob er etwas bereits in der Hand hält und wie stark er zudrückt. Seine künstliche Hand empfinde er nicht als zugehörig, sondern als Werkzeug, das er in der Hand halte, schildert ein Patient. Doch sind einige Forschergruppen nun daran, Prothesen mit Tastsinn zu entwickeln. Sie verfolgen dabei unterschiedliche Ansätze.
Weniger Phantomschmerzen
In zwei neuen Publikationen beschreiben Wissenschafter aus Schweden und den USA drei Patienten, welche gefühlvermittelnde Elektroden bereits seit 16 Monaten beziehungsweise 2 Jahren in ihren Armen tragen. Die Signalübertragung blieb dabei konstant, und die Patienten hatten keine Beschwerden. Im Gegenteil berichteten alle drei, dass ihre Phantomschmerzen verschwunden waren oder sich zumindest stark reduziert hatten, seit sie in der Hand wieder etwas fühlten. Ausserdem konnten sie mit der Prothese sicherer und differenzierter zupacken.
Das Team von Dustin Tyler von der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio, demonstrierte dies , indem es zwei Patienten Stile von Kirschen abzupfen liess.¹ Die Kirsche muss dabei fest genug gehalten werden, dass sie in der Hand bleibt, aber nicht so fest, dass sie zerquetscht wird. Ohne Tastsinn schafften es die Patienten nur, 43 Prozent der Stile erfolgreich zu entfernen, wenn gleichzeitig ihr Seh- und Hörsinn ausgeschaltet war; 77 Prozent, wenn sie zuschauen und hören konnten. Mit Tastsinn zupften sie dagegen ohne Seh- und Hörsinn 93 Prozent der Stile erfolgreich und 100 Prozent, wenn sie alle drei Sinne nutzen konnten.
Fühlt sich echt an
In beiden Studien wurden «Cuff-Elektroden» für die Signalübertragung implantiert. Dabei liegen mehrere Elektroden in einer Manschette um einen Nervenstrang herum und aktivieren die Nerven an der Oberfläche. Der Druck beim Greifen wird über Sensoren an der Hand gemessen und in Signale verwandelt, die über die Elektroden und Nerven bis ins Gehirn weitergeleitet werden. Es habe sich fast so angefühlt, als wäre es ein echtes Gefühl in einer echten Hand, sagt ein Patient aus Tylers Studie laut Publikation. Er konnte verschiedene Texturen wie Watte oder Sandpapier unterscheiden. Allerdings blieb das Gefühl in der Hand vorerst auf das Labor beschränkt. Denn die verwendeten Sensoren an der Hand und der Elektrodenstimulator sind nicht für den Alltagsgebrauch geeignet.
In der schwedischen Studie unter der Leitung von Max Ortiz-Catalan von der Universität Göteborg war die gesamte Technik für den Tastsinn dagegen dauerhaft in die Prothese integriert Zwar war der Tastsinn viel rudimentärer als in Tylers Studie. Doch half er dem Patienten bei der Bewältigung von alltäglichen Aufgaben. Die verwendete Prothese war ausserdem direkt im Knochen verankert. Gängige Prothesen werden mit einer Art Socke über dem Stumpf am Arm befestigt. Die im Knochen integrierte Prothese besteht aus einem dauerhaften Implantat, das durch das Gewebe an die Oberfläche ragt, und einer daran befestigten Prothese. Die Handhabung dieser direkten Verlängerung des Arms sei weniger störungsanfällig als gängige Prothesen und die ausgeführten Bewegungen seien viel präziser, schreiben die Forscher.
Forschung aus der Schweiz
Ein weiteres System mit Tastsinn hatten Forscher von der ETH Lausanne im Februar dieses Jahres demonstriert .³ Das Team unter der Leitung von Silvestro Micera hatte einem Patienten Elektroden so implantiert, dass sie die Nervenfasern im Inneren aktivierten. Dadurch sei eine noch differenziertere Stimulation der Nerven möglich als mit den «Cuff-Elektroden», sagt der Hauptautor Stanisa Raspopovic. Der Patient konnte mit seiner Prothese drei verschieden geformte Objekte und drei unterschiedliche Eigenschaften (weich, mittelhart und hart) unterscheiden. Die Forscher arbeiten nun daran, die Technik so weit zu verkleinern, dass sie auch in die Prothese integriert werden kann.
Grundsätzlich verfolge man diese Forschung mit Interesse, sagt Michael Hofer, Teamleiter Prothetik von der Balgrist Tec AG (Uniklinik Balgrist). Allerdings sei der Preis einer Prothese heute die grösste Einschränkung für ihren Gebrauch. Die Sozialversicherungen bezahlten die modernen und teuren Prothesen mit vielen Griffmustern nur in 10 Prozent der Fälle – wenn sicher sei, dass der Patient Arbeit habe. Einen zusätzlichen Nutzen von Prothesen mit Tastsinn muss man vor den Versicherungen daher wohl gut begründen.
Es ist abstossend faszinierend, wie ein übers ganze gesehen eher unwichtiges Thema (Armprothesen sind was vom wirklich seltenen) ohne Rücksicht auf den echten Alltag “verwendet” wird um “Berichte” zu schreiben.
Wohl haben wir leider eine Forschung und Akademie, die seit Jahrzehnten vor sich hin wurstelt, und wie immer (“gäng wie gäng”) zunehmend schräge Apparate “unter dem Vorwand der Hilfe für Behinderte” bastelt. Aber wirklich schwere, repetitive bimanuelle Tätigkeiten verbessern, das tut ebenso seit Jahrzehnten nichts davon, wieso (wiederum seit Jahrzehnten) mit fehlendem Teil eines Arms dann die Ueberlastung und Dysbalance droht. Die dazu notwendigen Verbesserungen muss man, gerade auch heute noch, als Benutzer SELBST leisten. Und natürlich kriegt man Phantomschmerzen etwas in den Griff, durch Ablenkung und durch Kompression, und indem man aktiv ist.
Aber wenn es wirklich zur Sache geht, will man eine Prothese, die man im Grunde selbst bauen muss. That’s where it’s at, in 2014.