Es gab im letzten Jahr einen wirklich kurligen Blogbeitrag zum Thema Fairness und Behinderung im Sport, und zwar den bei Frau Gehlhaar [link]:
Es ging um den Sportler Markus Rehm. Er ist Leichtathlet und unterschenkelamputiert. Mit einer angepassten Prothese nahm der Paralympic-Sieger jetzt zusammen mit nichtbehinderten Sportlern an den Nordreihn-Meisterschaften teil und konnte aktuell Gewinne für sich verbuchen. Sein sportlicher Erfolg brachte ihn ins Gespräch und in die Presse. Klingt erstmal ganz normal. Jemand gewinnt einen Wettkampf und bekommt dadurch die Aufmerksamkeit der Medien. Die Geschichte hat jedoch einen bitteren Beigeschmack. Es wurden Beschwerden laut, dass Rehm durch seine Prothese einen deutlichen Vorteil gehabt hätte und somit seinen Konkurrenten, im wahrsten Sinne des Wortes, einen Sprung voraus gewesen wäre. „Untersucht werden soll, ob die Prothese von Markus Rehm ein unerlaubtes Hilfsmittel ist, mit dem ein Vorteil bei Wettbewerben mit Nichtbehinderten erzielt werden kann“, erklärte DLV-Präsident Clemens Prokop der Nachrichtenagentur dpa. Der unterschenkelamputierte Leichtathlet Oscar Pistorius hatte sich vor zwei Jahren seine Teilnahme an den Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften rechtlich erstritten. Der Fokus auf dem damaligen Rechtsstreit lag auf Pistorius‘ Beinprothesen und inwieweit sie ihm Vorteile, aber auch Nachteile beim Start, Absprung, etc. beschaffen könnten.
Als erster Sportler mit Behinderung durfte Pistorius schließlich an den Olympischen Sommerspielen 2012 in London teilnehmen und fand sich am Ende auf dem achten Platz wieder. Aber was wäre gewesen, hätte Pistorius, wie sein Sportkollege Rehm, ganz oben auf dem Treppchen gestanden? Wären seine Prothesen dann auch als eine Art Wettbewerbsvorteil negativ aufgefallen? Markus Rehm hat im Vergleich zu seinen nichtbehinderten Konkurrenten gute sportliche Leistungen erzielt und somit die defizitorientierte Sicht auf Behinderung widerlegt. In der Diskussion ändert sich aber der Blick auf die Prothese, die auf einmal nicht mehr die Behinderung definiert, sondern angeblich einen “Wettbewerbsvorteil” bringt. Es ist schon fast amüsant, wenn es nicht so traurig wäre, wie Rehm nur über die Prothese definiert wird.
Gut.
Markus Rehm wurde in Ulm am 26.7.2014 mit 8,24m Deutscher Meister, in einem nicht-behinderten Wettkampf, in dem er nur und ausschliesslich wegen der Prothese gewann, einem Federbein, auf dem er absprang, also, auch sein Sprungbein. Mehr an “definiert” geht gar nicht, was Weitspringen angeht. Anschliessend wurde er für die Europameisterschaft der Nichtbehinderten gesperrt: “Messungen der Biomechaniker hatten ergeben, dass Rehm beim Anlauf kurz vor dem Absprung deutlich langsamer war als andere Männer bei vergleichbaren 8-Meter-Sprüngen und er trotzdem beim Absprung eine höhere Vertikalgeschwindigkeit erreichte als Christian Reif” (link ). Der allermerkwürdigste Satz schliesst somit direkt an Frau Gehlhaars eben zitierten Text an, er lautet so:
Ich möchte an dieser Stelle nicht diskutieren, ob und welche Vor- oder Nachteile solche Prothesen bringen können.
Nicht?
Was?
Vermutlich wurde da allzu sportlich “argumentiert” – aber nur dass es gesagt ist: bei Wettkampf im Sport geht es stets, wenn nicht ausschliesslich, um Vergleichbarkeit. Nicht bei Jekami, Turnverein oder einfach auf der Anlage mal rumfurzen – da darf jeder dabei sein, sicher sicher. Aber hier geht es um die Diskussion von Wettkämpfen.
Und nur diese Prothesen machen hier den ganzen Unterschied aus. Sie sind sogar das argumentative Epizentrum dieses Sachverhalts. Niemals wird Herr Rehm oder Frau Gehlhaar an reglementierten Sportwettkämpfen um die Wette spazieren mit Nichtbehinderten, sie im Rollstuhl, er mit der Federprothese, die anderen mit Segways. Und warum nicht? Weil es strubbeldoof wäre, alles was recht ist. Man muss schon genauer hinschauen, um sich Wettkampfregeln verständlich zu machen.
Aber hier besteht die Gefahr nicht, dass zu genau hingeschaut wird – hier wird nun die hoch reglementierte Wettkampfszene des Sports dazu verwendet, um die Gesellschaft heranzunehmen.
Beide Geschichten lassen mich lediglich darüber nachdenken, wie einfach meine Behinderung erst als gesellschaftliches Defizit deklariert wird und wie schnell sie zum ,Wettbewerbsvorteil‘ werden kann, sobald ich Erfolge für mich verbuchen kann.
Hä?
“Meine Behinderung”? “Seine Behinderung”? “Unsere Behinderung?” Seit wann lässt Markus Rehms technische und völlig notwendige Auseinandersetzung über sein fraglich wettkampfzulässiges prothetisches Hilfsmittel im Bereich Spitzensport irgendeinen validen Rückschluss darüber zu, was uns verstrubbelten Alltagsbehinderten so im nächsten Bücherladen widerfährt? Das greift zu weit – denn die Gesellschaft, die weiss ja schon auch nicht so recht, wo sie hin will. Die Gesellschaft, die ist sicher insgesamt auch manchmal so richtig strubbeldoof, sie verrennt sich und andere in inhärente Widersprüche, so als kleines Beispiel nebenbei [link].
Aber dieser Text auf Frau Gehlhaar, der weiss nun ganz sicher ebensowenig, wo er hin will.
Denn man schliesst mit diesen sinntiefst gründenden Worten:
Es ist schon erstaunlich, wie sehr eine Behinderung für andere im Mittelpunkt zu stehen scheint, wenn es um Erfolg geht. Aber woran liegt das? Vielleicht möchte es einigen Menschen ohne Behinderung nicht in den Kopf, dass eine Person mit einem ,gesellschaftlich anerkannten Defizit‘ bessere Leistungen bringen kann, als man selbst?
Ich halte das weder für korrekt noch für sinnvoll, geschweige denn gerechtfertigt.
Wenn ich als Behinderter eine nichtbehinderte Person in einem Wettkampf übertreffe, oder wenn ich als nichtbehinderte Person eine behinderte Person übertreffe, oder eine behinderte eine behinderte Person übertrifft, oder eine nichtbehinderte eine nichtbehinderte Person (damit hätten wir sie alle durch, ja) – so steht mein Handicap ja auch dann erstmal nicht im Mittelpunkt.
Es steht die Performance im Mittelpunkt.
Und so soll das auch sein.
Ich habe das übrigens schon öfter auch selbst ausprobiert [link].
Manche wenige gratulieren vielleicht, aber den meisten ist es ganz egal, das ist der effektive Stellenwert sportlicher Leistungen Behinderter im Umfeld Nichtbehinderter.
Es ist fürs meiste genausowenig wenig relevant als Umstand wie das Wetter an diesem Tag.
Wenn ich keine Hilfsmittel einsetze und damit den Wettkampfregeln vollumfänglich folge, gibt es keinerlei Diskussionen.
Als ich 2012 an der (nicht behinderten!) FINA Masters Weltmeisterschaft qualifiziert war, und teilnahm, und zwar ohne jegliches prothetisches Schwimmhilfsmittel der Sorte Prothese, interessierte es weder Presse, noch Blogosphäre, noch Sport-, Schwimm- oder Behindertenschwimmverband.
Auch daraus leitet sich zwanglos mit ab, dass es nicht um Behinderung oder Erfolg geht, oder, logischerweise gehen kann, wenn Markus Rehm und seine besondere Art, zu springen, zu verbandstechnischen regulativrelevanten Diskussionen führen. Wäre er ohne Beinprothese angetreten, beispielsweise, hätte er sich diese gesamten Diskussionen erspart, um mal vorsichtig anzufangen, und wäre (da man ja annimmt, er sei gut genug) damit auch Deutscher Meister geworden. Oder doch nicht?
Aber wir nehmen fassungslos noch einmal zur Kenntnis:
Ich möchte an dieser Stelle nicht diskutieren, ob und welche Vor- oder Nachteile solche Prothesen bringen können.
Schade.
Denn es geht wirklich ausschliesslich und nur um das.
Nur, wenn technische Hilfsmittel dazu kommen, wird die ganze Sache heikel. Sonst nicht!
Und auch das erst dann, wenn es ein Wettkampfreglement gibt.
Wer Wettkämpfe nicht von Grund auf versteht und als solches auch liebt, wird auch nie begreifen, dass dies eine Kunstwelt ist. Dort geht es in geradezu überhöhtem Sinn um Vergleichbarkeit. Es werden zur Verbesserung der Vergleichbarkeit Kategorien getrennt oder vereinigt; es werden Wettkampfereignisse zur Erhöhung der Spannung und des Wettbewerbs zusammengelegt, ohne bei der Auswertung die Trennung von Kategorien ebenfalls aufzuheben. In sowas muss man sich erstmal reindenken, bevor man es kommentieren kann. Wettkämpfe sind zutiefst künstliche, vorsichtig austarierte Vergleichskunstwerke. Je wichtiger der Wettkampf, je globaler das Event ausgeschrieben ist, und je härter die Selektionskriterien sind, umso heikler alles andere, was damit zusammenhängt. Da mag an der kommunalen Ausmarkung erstmal die Augenbraue gehobebn werden, auf Ebene Kanton, Bundesstaat oder Gliedstaat wird nervöser reagiert, und auf Ebene Bund, Nation etc. würde man dann einen Schritt vor den paneuropäischen, panamerikanischen oder panasiatischen Vergleichsveranstaltungen dann irgendwelchem Unsinn einen Riegel schieben.
Kaum etwas, das dann in derartigen hochreglementierten Wettkampfspitzensport verhandelt wird, taugt als Aufhänger fuer Gesellschaftskritik.
Es ist technisch gesehen inhaltlich und verbal vollkommen korrekt, die bedeutend höhere mechanische Impedanz des prothetischen Federfusses gegenüber dem menschlichen Bein und Fuss als möglichen technischen und somit kompetitiven Wettbewerbsvorteil für Weitsprung oder Mitteldistanzsprints zu benennen, und dahingehend technische Abklärungen zu tätigen. Jeder mit einem Hang für Fairness muss dies anerkennen.
Natürlich kann man Federbeine für gewisse Wettkämpfe auch zulassen – dann aber wenn möglich für alle.
Dann dürfen auch zweibeinig ausgestattete Mitmenschen Federschuhe tragen, und mit diesen weiter springen. Vergleichbarkeit technisch ist gerade auch dann wichtig. Sie ist immer wichtig, was Sport und Wettkampf angeht.
Auch Nichtbehinderte leiden unter ihrer beschränkten Schnellkraft, Sprungweite und Renngeschwindigkeit. Und das alles ist nicht einmal geheim.
Forschung zu mechanischen Eigenschaften der menschlichen Extremitäten wird ja auch gemacht, durchgeführt und mitgeteilt. Diese Art Literatur ist nicht geheim, auch Blogschreiber jeglicher Interessensrichtung könnten darauf zugreifen. Denn auch dieser spezialisierte Bereich gehört zu unserer Gesellschaft.
Selbstverständlich sind allerlei gesellschaftliche Fragen rund um Handicaps riesig aktuell – aber das Beispiel der technischen Beinprothesen für Sportzwecke ist eins der am schwierigsten verständlichen, offenbar, und daher sicher eins der am meisten fehlzitierten. Es hat gerade im fair und korrekt vermessenden Sport eben nicht mit Neid zu tun sondern mit technisch richtiger Anerkennung, wenn man für Weitsprünge das Federbeinchen als Vorteil bezeichnet – so sehr das Handicap sonst und rundum alles andere als ein Vorteil ist, ist es dort dann einer, wenn der Weitspringer mit dem Lil Tink Tink abspringt, anstatt es einfach als Schwungbein zu verwenden – und auch dann gehört da nachgeschaut.
Natürlich ist es so, dass auch ein Otto Bock Greifer (also so ein Prothesenmotoren-Ding für eine Armprothese mit so hohem Verschlussdruck, dass es zum Kaputtmachen reicht) bei der Frage nach Presskraft einer Hand in jedem derartigen Sportvergleich mit “normalen” Händen ebenfalls ein Wettbewerbsvorteil sein könnte. Somit ist es logischerweise auch so, dass sich auch aus diesen biomechanischen korrekten Tatsachen eben nichts (!) fuer die Gesellschaftskritik ableiten lässt.
Und wenn man das nicht sagen darf, dann ist damit auch das wirkliche Ende der Fairness im Sport angekommen. Dann können wirs sein lassen. Alles.
Der gute Markus Rehm springt ja logischerweise – denn es ist auch seine Wahl des besseren Absprungbeins!!!! – nicht mit dem Nichtbehinderten Bein ab, sondern mit dem Federbein.