Prothesen und Maschinenmenschen [DIE ZEIT / Kritik]

Nun schreiben Herausgeber wie Fast Company bereits längst über solchen Unsinn, die Masche ist uralt – und im Jahre 2015 schreibt es DIE ZEIT auch: “Jahrhundertelang waren Prothesen primitive Hilfsmittel. Heute sind sie manchmal besser als die Natur. Beginnt das Zeitalter der Maschinenmenschen?”

Katharina Heckendorf beginnt ihren Artikel mit einer wirklich scharfen Beobachtung. “Pang! Patsch! Pang! Patsch! So klingt es, wenn Heinrich Popow rennt. Wenn sein rechter Fuß auf den Turnhallenboden der Fritz-Jabobi-Halle in Leverkusen trifft – Patsch! –, schwingt an seinem linken Bein ein künstlicher Unterschenkel am hydraulischen Kniegelenk nach vorn und landet dann: Pang! Popows linkes Bein ist über dem Knie amputiert” schreibt sie.

Pang, also. Und patsch.

Gewagt wird es, wenn sie anfügt, “Wer sehen will, welchen Sprung der Prothesenbau in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat, muss nach Duderstadt bei Göttingen fahren. Hier wurden die Prothesen gebaut, mit denen Popow rennt: bei der Firma Otto Bock”.

Doch, von denen habe ich schon gehört. Denen ihr Zeug am Arm, und man geht vor Wut und bitterer Enttäuschung die Wände hoch, dann mit diesem Kundendienst, und man wird dann richtig sauer. Doch, diese Firma, echte Wellness für die Seele.

Und ganz wild wird es dann, wenn da steht “Die Debatte, die gerade im Sport ausgetragen wird, könnte bald die ganze Gesellschaft betreffen”. Ach was! Die ganze Gesellschaft? Wer *ist* denn “die ganze Gesellschaft”? Die Autorin löst das Rätsel gleich auf, und textet “Da ist zum Beispiel Hugh Herr”, und, “Wenn man den Thesen von Hugh Herr und Aimee Mullins zuhört, könnte man glauben, dass es bald keine behinderten und nichtbehinderten Menschen mehr gibt”. Hugh Herr oder Aimee Mullins für “die ganze Gesellschaft” zu halten oder auch nur so zu tun, das ist allergrösster Unfug. Zumal diese beiden “Herr”schaften in unseren Medien gar nicht präsent sind; sie stehen für die am Rande des Kreischanfalls hysterisierende, übertreibende Medienpräsenz in den USA, medialer Zuckersirup also.

Grammatikalisch richtig steht da zwar, “von der Optimierung des menschlichen Körpers sind die (Prothesen) noch weit entfernt”. Aber “Optimierung” gehört da überhaupt nicht gesagt, es ist ein Unwort, mit tiefer soziokultureller Bedeutung: denn man vermutete schon anderswo, dass bei Amputierten das “Human Enhancement” gleich um die Ecke lauert. Und was heisst, “”noch” weit entfernt”? Seit 1905 wird von der morgen um die Ecke lauernden Weltverbesserung für Amputierte geredet. Seit den Sechzigern bestehen bei myoelektrischen Prothesen dieselben Probleme. Was soll jetzt das nervöse Tun, als ob der Weltuntergang bevorstünde? Wo nichts ist, ist nichts!

Und so ist ganz besonders bemerkenswert, dass es aktuelle Weltverbesserer auf sich nehmen, hier regulativ vorwarnend wirksam zu werden und auch chirurgische Operationen zur Wiederherstellung einer wenigstens minimalen Greiffunktion verbieten zu lassen – dies dann mit den entsprechend sehr negativen Folgen für Betroffene, Kosten und Allgemeinheit. Was offenbar von der Oeffentlichkeit so gewünscht ist. Dass der Begriff “Optimierung” in dieser Art Schwarzmalerei verwendet wird, hat die eigenartigsten Folgen. Deswegen muss man sich dagegen wehren. Die Versicherungen bezahlen auch deswegen etwa Sportprothesen nicht, weil dauernd von “Human Enhancement” und “Optimierung” geredet wird. Es wäre damit aber nicht “besser” – nur “etwas weniger fürchterlich”. Wäre es im öffentlichen Bewusstsein klar, dass Amputationen fürchterlich genug sind, auch wenn man mit einer Sportprothese auf durchaus tieferen Level etwas Sport treiben kann, wäre das was völlig anderes. Aber, pang, patsch, aus die Maus – der Diskurs ist der, dass man die allergrösste Angst vor dem (wie man sich grösste Mühe gibt, überall zu sagen) “optimierten Amputierten” hat und sich daher das Kleinreden der “Verbesserungen” wenn nicht sogar des Maschinenmenschen sehr, sehr viel Geld kosten lässt.

Es muss eine absolute, alles überragende, extreme Angst sein, die da herrscht. Der Verstümmelte hat offenbar (immer noch) eine symbolische Rolle, die er gefälligst beizubehalten hat – denn kaum schaut man weg, riskiert die Gesellschaft ja, dass dieser sich “zum Maschinenmenschen” “optimiert” (zum grossen Glück nicht durch Versicherungen, die ihm Sportprothesen bezahlen würden).

Das aber ist derart grobstückig dumm, dass es Funken schleift; dieser Grad an Behämmertheit ist so roh, dass man vor Spiegelglanz blind wird. Es gibt dafür somit wirklich nur irrationale Erklärungen.

Dagegen redet bei Rollstuhlfahrern, bei MS-Kranken, bei Trägern von Hörgeräten oder Personen mit Krücken kein Mensch von “Optimierung”. Dabei ist ein Rollstuhlfahrer schneller als ein Spaziergänger. Die projektive Symbolik der Person mit Amputation ist uns also auf den Leib geschrieben, die Gesellschaft füllt teure Zeitungsseiten mit Mahnschriften, die diesen Status Quo erhalten wollen. Wir scheuchen die Nichtbehinderten nun offenbar durch unser reines Dasein auf, wir treiben sie sogar zum äussersten – tief in die Irrationalität – und wir sorgen dafür, dass man uns (sofern maschinell bestückt) als “optimiert” bezeichnet.

Dass Prothesen, die gerade etwa im Hand/Armbereich seit Jahrzehnten nichts erstaunliches leisten, immer höher gelobt werden, ist dementsprechend aber alles andere als neu, sowenig dieser Aspekt zum Herbeiposaunen des Maschinenmenschen geeignet ist. Wenn ich meine “bionische” Prothese, die aus mir einen “gänzeren” Menschen zu machen versprechen soll, mehr als 6 Stunden am Stück trage, ist mein Stumpf mit Scheuerstellen und Druckblasen so verletzt, dass ich 2-3 Tage Ruhe brauche um mich davon zu erholen. Diese Prothese behindert mich faktisch, indem ich mit dem iLimb weniger als ohne machen kann. Arg viel weiter ist man also nicht, was die Suche nach Maschinenmenschen angeht, alternativ könnten Sie sich eine Drohne auf den Kopf setzen und mal schauen ob es surrt.

Das Zeitalter der Maschinenmenschen ist aber dennoch da, nur lenkt die Autorin, Katharina Heckendorf, davon ab. Es ist geprägt durch Leute wie sie, die anderen Leuten ihre Texte und Ideen abschreiben und nicht denken (typisch Maschine, eben). Denn Texte wie derjenige der ZEIT werden dauernd herumgeschwenkt, ohne dass sie eine wirkliche Grundlage haben. Kein Nachdenken, keine Reflektion, keine Redaktionssitzung hält dies offenbar auf. Das ist es, was den Maschinenmenschen heute ausmacht. Es läuft auf eine Inhaltsbehinderung hinaus, die Frau Heckendorf und ihre Redaktionskollegen haben.

Pang, patsch? Und wenn Maschinenmenschen “schreiben”, dann tönt es Klick Klack.

 

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Cite this article:
Wolf Schweitzer: swisswuff.ch - Prothesen und Maschinenmenschen [DIE ZEIT / Kritik]; published 02/06/2015, 07:24; URL: https://www.swisswuff.ch/tech/?p=4927.

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