Das Schweizer Fernsehen (SF DRS) strahlt am 16. Januar 2012 in der Sendung “Puls” einen Beitrag mit dem Titel “Gesundheitsthemen – Hightech-Armprothese – Nicht nur optisch nahe an der Hand” von Hellwi Braunmiller aus, der einseitige Werbung fuer die Otto Bock “Michelangelo”-Hand liefert. Dieses Produkt hatte vorgaengig bzw. bislang ja gar nicht ueberzeugt.
Um diesen Bericht besser zu verstehen, ist etwas Hintergrundinformation hilfreich. Die “Michelangelo Hand” von Otto Bock ist ganz neu, nicht ansatzweise ausgereift, kostet etwa 50’000 Franken (kosmetische Armprothese etwa 3’000 Franken, funktionelle Armprothese etwa 6’000 Franken), ist weder belastbar noch schoen, laut und schwer. Der aus Anwendersicht in gewissem Sinne als Alptraum einer Prothese anzusehende Anker wurde bereits in Zuerich vorgefuehrt und schien auch da die anwesenden Prothesentraeger nicht sonderlich zu ueberzeugen. Das erstaunt Kenner der Szene nicht, da Otto Bock mitunter aeusserst sonderbare Dinge tut [Unterstuetzen sadomasochistischer Amputationsfetischfotografieausstellungen] fuer was es gerade mal nur eine Erklaerung gibt – das Management der Firma ist mutmasslich schraeg drauf. Das ist nun ja nicht verboten – aber warum Steuer- und Versicherungsgeld dorthin werfen?
Die IV (Invalidenversicherung) kaempft dagegen mit zu hohen Kosten (siehe nur etwa Themen zum 6. Paket), wobei gerade der Hilfsmittelbereich undurchsichtig scheint- bei der IV selbst, in der Oeffentlichkeit, bei Aerzten und auch bei Benutzern. Sicher ist Armamputation ein Rare Disease / Orphan Disease – und wer das nicht erkennt, wird nie einsehen, dass das notwendige Spezialwissen nicht auf der Strasse liegt.
Es gibt neben finanziellen auch technische Gruende, exakt weswegen eine Armprothese robust sein muss. BECKER Haende sind das. Die Michelangelohand ist das nicht.
Das Schweizer Fernsehen ist nicht gerade frei darin, was sie das so verbreiten, sondern an gewisse Einschraenkungen gebunden:
Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.
Hier wird natuerlich keineswegs sachgerecht informiert. Hellwi Braunmiller informiert in ihrem Bericht ganz entspannt einseitig und falsch, weckt falsche Hoffnungen, und das kostet der IV sehr viel Geld. Damit verstoesst SF DRS gegen den oeffentlichen Auftrag – neben dem Journalist informiert auch das Schweizer Fernsehen falsch – und unterdrueckt anderslautende Information.
Laut Schweizer Presserat gilt fuer Journalisten in der Schweiz eine Regelung.
Es ist in Betracht zu ziehen, dass hier unabsichtlich oder – gegeben Google – grobfahrlaessig gegen diese Art Satzung verstossen wurde – namentlich:
Sie halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren.
Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellen weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen.
Ich erlaube mir daher, das kleine Nichtgenuegen direkt zu kommentieren.
Laut dem Beitrag auf SF DRS sei angeblich folgendes eine Tatsache:
Als erster Schweizer trägt Albert Wattenkofer eine Prothese namens «Michelangelo Hand». Während die meisten Prothesen in einer zangenartigen Bewegung lediglich Daumen und Zeigefinger zusammenführen können, hat diese Hightech-Prothese vier bewegliche Finger und einen unabhängig davon positionierbaren Daumen und kommt damit dem natürlichen Bewegungsmuster einen grossen Schritt näher.
Erstens sind in der Schweiz bereits seit einigen Jahren myoelektrische Handprothesen bei Benutzern in Betrieb, welche Finger unabhaengig voneinander bewegen, und zwar v.a. Modelle der Firma TouchBionics (iLimb und Folgemodelle). Ein Pionier des Tragens einer “bionischen” Handprothese ist etwa Bertolt Meyer [twitter]. Hier ein Abstecher in das Aussehen der “bionischen” Prothesenhände: obschon Bertolts verbriefte initiale Absicht gewesen ist, bionische iLimb-Prothesen dazu zu verwenden, mit kosmetischen hautähnlichen Handschuhen das Aussehen einer menschlichen Hand sehr täuschend echt zu imitieren, sah er anlässlich eines gemeinsamen Bierkonsums in Zürich am 2.9.2009 meine damals frisch rot gespritzte Red Hand (Becker Lock Grip). Die von mir bereits von langer Hand vorher angebahnten Designoffensive steckte damals offenbar indes nicht nur Bertolt Meyer an, der im Gegensatz zur damaligen Zeit nunmehr mittlerweile offenbar ganz für offensives Design einstehen will, wie verschämt auf Druckmedium (aber nicht Internet) gehaltene neue Bertoltinterviews in einer Tagesanzeigerausgabe scheu und verstohlen andeuteten. Denn meine Designoffensive “Red Hand” warf insgesamt recht weite Wellen; nach ersten Internet-Veröffentlichungen frech farbiger und roter Hände folgten im Ausland das Kunstprojekt Spare Parts (2010, 2012) von Priscilla Sutton, das Super Prosthesis Project von Becky Pilditch am Royal College of Art in London, und die Studienarbeit von Marlin Geurts. Dies sind also Beispiele von recht offensiven Folgearbeiten im künstlerischen Bereich.
Zweitens sind myoelektrische Prothesen bei weitem nicht die ersten oder einzigen Handprothesen, die einzeln Finger bewegen koennen. Meine BECKER MECHANICAL HANDS sind mit etwa 350 (direkt bei John Becker) bis etwa 650 Franken (Importeur) Kosten und seit ueber 50 Jahren kontinuierlich verbesserten Mechaniken extrem robuste und ausgereifte, extrem guenstige Alternativen zu den mit 50’000 Franken nicht guenstigen, fehler- und reparaturanfaelligen, langsamen und wenig kosmetisch ueberzeugenden, lauten Otto Bock “Michelangelo”-Haenden. Die BECKER Haende sind schnell, leise und extrem billig; Wasser macht ihr nichts aus. Die Finger weisen Gelenke auf, sind gelenkiger als die der “Michelangelo”-Hand. Die BECKER Haende sind in der Schweiz vor allem auch deswegen nahezu unbekannt, weil z.B. das Schweizer Fernsehen etwas entgegen oeffentlichem Auftrag wie man sieht ausserordentlich einseitig und somit falsch informiert. Bei diesen BECKER Haenden bewegen alle Finger einzeln, werden zusammen angesteuert, es resultiert ein satter adaptiver Griff fuer grosse Objekte mitsamt Praezisions-Spitzgriff fuer kleine Objekte. Siehe umfangreiche Dokumentation. Fuer den Preis einer Michelangelohand bekommt man etwa 80 BECKER Haende.
Drittens verwenden nicht einmal Otto Bocks eigene Service-Angestellte bei Vorfuehrungen zur Vorbereitung diese Prothese sondern halten etwa Kabelverbindungen lieber mit dem Mund. Das mag peinlich anmuten, aber wir alle muessen damit leben, dass Otto Bock solches Ungemach direkt unserer IV weiterverrechnet, ob das Produkt diese Art Rueckschlag nun wert ist, oder nicht.
Des weiteren wird von SF DRS mitgeteilt:
Auch die Optik und Beweglichkeit kommen der Natur sehr nahe geräuschlos funktioniert die Prothese jedoch nicht.
Wie ich ohne Probleme bereits vor etwa 1 1/2 Jahren in Erfahrung bringen konnte, und wie sich dem unbedarften Auge bei Betrachten des SF DRS-Beitrags erschliesst, kann Otto Bock zu der “Michelangelo” Hand nichts taugliches an Kosmetik anbieten. Nichts. Es wirft der Kosmetikhandschuh grosse unuebersehbare Falten, was keineswegs Natur an Optik annaehert, wie das Video der Sendung Puls hier klar belegt. Er passt schlicht nicht. Hier von “der Natur sehr nahe” zu reden, belegt eine aufregende Unbedarftheit und vollkommene Ignoranz saemtlicher Moeglichkeiten der aktuellen, im Jahr 2012 verfuegbaren Silikontechnik.
Auch an Beweglichkeit ist die Otto Bock Michelangelo Hand’Prothese eins und vor allem eins – teuer, laut, schwer und steif. Nichts ist “sehr nahe” der Natur. Es ist eins der ungeloesten Probleme der Prothetik. Die Finger dieser hier dargebotenen Prothese weisen – etwa im Gegensatz zu Becker Haenden oder iLimb – nicht einmal Mittelgelenke auf. Die Hand, siehe den Beitrag von SF DRS, bewegt sich stark verzoegert und sehr langsam. Hier von “Beweglichkeit … der Natur sehr nahe” zu reden ist eine Lachnummer, ein Trauerspiel, hier hat die Textabteilung von SF DRS schlicht freie Maerchen erfunden.
Bewertung des SF-DRS Puls Beitrags (maximal 5 Punkte):
- Brauchbarkeit der Handprothese 1/5
- Umfang und Richtigkeit zum Thema Bionik / Handprothese 0/5
- Versicherungspolitisch richtige Bedienung der Oeffentlichkeit 0/5
- Korrekte Benennung der Gesamtumstaende in Handprothetik 0/5
- Unterhaltungswert 0/5
Weiterfuehrende Informationen:
- Becker Hands [Hersteller]
- Becker Hands [Funktion, Demonstrationen]
- Otto Bock Michelangelo Hand [Entwicklungen]
Keywords – Armprothese Prothese Otto Bock Michelangelo Michelangelohand Berichterstattung SF DRS Puls TV Medien